Zukunftsentwicklung für die Kulturbetriebe Leipzigs nach actori (Antrag 275/12)

Beschlussvorschlag:

Der Stadtrat beschließt,

  1. dass der Anteil des Kulturhaushaltes im Ergebnishaushalt jährlich bis zum Ende 2015 jeweils prozentual dem Anteil des Haushaltsjahres 2012 entspricht. Der Oberbürgermeister wird beauftragt,
  2. unter Begleitung der Kulturberatungsfirma actori bis zum 30. September 2012 zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen das Centraltheater als Zweispartenhaus (Schauspiel/Operette-Musical) betrieben werden kann und, welche Kosten der dazu notwendige Umbau des Centraltheaters und der ehemaligen Diskothek Schauhaus in einen großen Saal mit Orchestergraben, einen kleinen Saal und eventuell einen Saal für Kammerspiele als Zweitspielstätte Schauspiel verursachen würde. Zusammen mit dem Prüfergebnis ist dem Stadtrat ein Umsetzungsvorschlag über die zukünftige Spielstätte der Musikalischen Komödie bzw. der Zukunft des Genres Operette vorzulegen;
  3. unter Begleitung der Kulturberatungsfirma actori bis zum 30. September 2012 zu prüfen, ob durch eine Kürzung von Orchesterstellen beim Gewandhausorchester eine Reduktion von Qualität und Ansehen zu befürchten ist und, ab welcher Stellenkürzung die ordnungsgemäße Bespielung der Oper und der Thomaner gefährdet wäre. Das Prüfergebnis und ggf. ein Entscheidungsvorschlag ist dem Stadtrat vorzulegen;
  4. unter Begleitung der Kulturberatungsfirma actori bis zum 30. September 2012 zu prüfen, welche kulturellen Eigenbetriebe mittel- bis langfristig sinnvoll in einem Betrieb mit einer Intendanz zusammengeführt werden können und, welche Vor- und Nachteile eine solche Konzentration hätte. Das Prüfergebnis und ggf. ein Entscheidungsvorschlag ist dem Stadtrat vorzulegen.

Begründung:

I.
Das kulturelle Angebot Leipzigs ist für eine Stadt dieser Größenordnung außergewöhnlich. Außergewöhnlich auch deshalb, weil sich die größte Zahl der Kulturbetriebe in städtischer Regie befindet und deshalb auch in der finanziellen Verantwortung der Stadt steht. Leipzig hat das Glück

  • das Gewandhausorchester mit internationaler Bedeutung und Gewandhauschor;
  • das MDR-Sinfonieorchester und den MDR-Chor mit nationaler und den Chor von internationaler Qualität;
  • den Thomanerchor, dessen 800-jähriges Bestehen wir dieses Jahr begehen;
  • die Oper mit einem sehr guten Opernchor;
  • die Musikalische Komödie mit einem eigenen Orchester und Chor;
  • das Centraltheater;
  • das Theater der Jungen Welt;
  • und eine sehr lebhafte Freie Szene mit verschiedensten Theater- und Musikangeboten zu besitzen.

Leipzig ist eine Kulturstadt von nationaler Bedeutung. Ein – nicht das alleinige – Hauptanliegen städtischer Politik muss das Wohl dieser Kulturstadt sein. Und dieses Wohl kann im Interesse des noch zu beschreibenden Ganzen mit mehr oder weniger Strukturveränderungen verbunden sein. Solche Veränderungen werden insbesondere dann geboten sein, wenn der Stadt durch die eventuelle Novellierung des Kulturraumgesetzes des Freistaates Kulturfördermittel verloren gehen sollten oder sich die finanzielle Situation mit dem Auslaufen des Solidarpaktes weiter verschlechtern wird. Diese finanzielle Ausgangssituation war Grundlage des Auftrages an die Kulturberatungsfirma actori in Zeiten knapper Kassen Entwicklungsszenarien für die Leipziger Eigenbetriebe Kultur zu erarbeiten.

II.
Ausgangspunkt waren dabei folgende Zuschüsse im Haushalt der Stadt Leipzig an folgende städtische kulturelle Einrichtungen:

Institution VWH 2008 VWH 2009 VWH 2010 VWH 2011
Gewandhaus 15.735.617,00 € 14.941.750,00 € 15.573.000,00 € 15.921.400,00 €
Oper Leipzig 40.367.202,00 € 40.789.150,00 € 40.810.150,00 € 40.793.550,00 €
Centraltheater 14.258.551,00 € 13.495.750,00 € 13.907.500,00 € 13.939.900.00 €
Theater der jungen Welt 2.673.150,00 € 2.810.200,00 € 3.075.200,00 € 3.114.200,00 €
Thomaner 401.350,00 € 405.500,00 €
Stadtbibliothek Leipzig 7.039.020,00 € 7.546.550,00 € 7.764.850,00 € 7.455.000,00 €
Musikschule „J.S.Bach“ 2.279.300,00 € 2.365.000,00 € 2.415.000,00 € 2.743.000,00 €
Volkshochschule 377.927,00 € 489.050,00 € 544.750,00 € 524.850,00 €
Bach-Archiv 2.288.318,00 € 2.018.300,00 € 2.869.350,00 € 2.240.500,00 €
Stadtgeschichtliches Museum 2.081.370,00 € 2.074.550,00 € 2.157.250,00 € 2.079.000,00 €
Grassimuseum 2.753.150,00 € 2.778,400,00 € 2.938.950,00 € 3.042.900,00 €
Museum der bildenden Künste 3.101.050,00 € 3.146.150,00 € 3.178.250,00 € 3.287.400,00 €
Naturkundemuseum 701.670,00 € 723.600,00 € 810.050,00 € 681.200,00 €


Hinzu kommen z. B. im HH-Jahr 2012 die Zuschüsse für die Freie Szene i.H.v. 4.165.000,00 €. Mit diesem Zuschuss ist aber der Beschluss der Ratsversammlung Nr. RBV-1302/08 vom 17.09.2008 noch lange nicht erfüllt. Im HH-Jahr 2010 erfolgt folgender Zuschuss des Freistaates nach den Festlegungen des Kulturraumgesetzes: 42,2 Mio. €. Nach § 2 Abs.1 des Gesetzes über die Kulturräume in Sachsen (SächsKRG) ist die Kulturpflege eine Pflichtaufgabe der Gemeinden. Zum Vergleich hier noch Zuschüsse an kulturelle Einrichtungen in einigen anderen ausgewählten Städten (Spielzeit 2009/2010):

Stadt Sparten Zuschuss
Hannover Oper, Schauspiel, Ballett 48.582.000,00 €
Frankfurt/M Oper, Schauspiel 62.517.000,00 €
Köln Oper, Schauspiel 53.721.000,00 €
Nürnberg Oper, Schauspiel, Ballett 34.059.000,00 €
Mannheim Oper, Schauspiel, Ballett 41.791.000,00 €
Halle (Saale) Theater, Oper, Orchester 34.241.000,00 €
Stuttgart Schauspiel, Oper, Orchester 72.721.000,00 €
Augsburg Oper, Schauspiel, Orchester 19.666.000,00 €
Dresden Oper, Operette, Schauspiel 76.906.000,00 €
Leipzig Oper,Operette, Schauspiel, Gewandhausorchester 70.290.650,00 €


Die Werte von Leipzig entstammen dem Verwaltungs-HH-Plan 2010. Zahlenquelle: Theaterstatistik 2009/2010 Oper schließt immer auch ein Orchester mit ein.

III.
Als zusätzliche Belastung für die Eigenbetriebe Kultur aber auch den städtischen Investitionshaushalt, kommen schon lang- und mittelfristig angelaufene Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsarbeiten der einzelnen Häuser der Kultureigenbetriebe hinzu. Für die Sanierung der Musikalischen Komödie sind vom Hochbauamt in einem von der Dienstberatung des Oberbürgermeisters im Jahre 2009 nicht verabschiedeten Planungsbeschlusses 14.837.000 € für den Neubau eines Funktionsgebäudes und Rekonstruktion des bestehenden Zuschauer- und Bühnenhauses veranschlagt worden, davon hätte die Stadt einen Eigenanteil von 6.237.000,00 € zu tragen gehabt, der Rest wäre mit Fördermitteln finanziert worden. Ob diese Fördermittelmöglichkeit heute noch besteht erscheint zweifelhaft, außerdem sind die damals festgestellten Kosten mit Sicherheit um 25 % zu erhöhen für weiteren Verschleiß und Inflationszuschlag, also 3.709.250,00 €.

Baukosten Musikalische Komödie 18.546.250,00 €


Im Gebäude des Centraltheaters stehen die Räume der Schauhaus-Diskothek im unrenovierten Zustand leer und drohen sich negativ auf die Gesamtsubstanz des Hauses auszuwirken. Die Zweitspielstätte Scala muss aus baulichen, aber auch finanziellen Gründen geschlossen werden. Das Centraltheater benötigt mittelfristig eine Zweitspielstätte und die Räume des ehemaligen Schauhauses kann man am Ring auch nicht vergammeln lassen. Wird die Renovierung und der Ausbau der Scala zu einer Zweitspielstätte in Angriff genommen, geht man von geschätzt 10 Mio. € aus. Hinzu kommen – entsprechend der Fortschreibung der Erhaltungskonzeption des Centraltheaters – für Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsarbeiten bis zum Jahre 2015 weitere 10.074.00,00 €.

Baukosten Centraltheater (geschätzt) 20.074.000,00 €


In der Oper stehen in dem Gebäude in den nächsten Jahren noch erhebliche Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen an. Im Erhaltungskonzept der Oper sind vorgesehen eine Sanierung des Orchestergrabens, eine Runderneuerung der Drehbühne, Sanierung der Fenster und des Daches sowie Teile der Außenfassade. Auch in den an die Oper angeschlossenen Theaterwerkstätten besteht erheblicher Sanierungsbedarf an den Fenstern, der Fassade und dem Dach. Man geht von in den nächsten vier Jahren anfallenden Kosten von ca. 10 Mio. € aus.

Baumaßnahmen Oper 10.000.000,00 €


Im Gewandhaus stehen u. a. folgende Renovierungsarbeiten an: Sicherheitsbeleuchtung, Neuinvestition Brandmeldeanlage und weitere Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen.

Baumaßnahmen Gewandhaus 5.555.000,00 €


Es ist festzuhalten, dass neben der durch künstlerische Aktivitäten verursachten Deckungslücke auch durch Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen noch ein Finanzierungsstau von ca. 54.174.000,00 € besteht. Wie dieser Investitionsstau abgebaut werden soll, erscheint noch völlig unklar.

IV.
Ausgangspunkt für das actori-Gutachten ist der Umstand, dass bei Beibehaltung des bisherigen Zuschusses für die vier Kulturinstitutionen (Gewandhaus, Oper [mit MuKo], Centraltheater und Theater der Jungen Welt) bei unvermindertem Betrieb durch inflationsbedingte Kostensteigerung bis zur Spielzeit 2014/15 eine Deckungslücke von 5,7 Mio. € entsteht. Dabei gibt actori keine Empfehlung für oder gegen eines der beschriebenen Entwicklungsszenarien ab, sondern verschafft der von der Politik und der Öffentlichkeit zu führenden Diskussion nur „eine faktenorientierte Grundlage“. Es wird in den folgenden Erörterungen nicht auf die von actori vorgeschlagenen Optimierungsmaßnahmen bei den Eigenbetrieben (Oper, Centraltheater und Theater der Jungen Welt) eingegangen, es wird davon ausgegangen, dass die ausgemachten 1,7 Mio. € Einsparpotentiale auch umgesetzt werden (Seite 10 des Gutachtens). Es wird weiter davon ausgegangen, dass die vorgeschlagene Kooperation bei der Haustechnik mit einem Einsparpotential von 300 T€ ebenfalls umgesetzt wird (Seite 11 des Gutachtens).

Verbleibende Deckungslücke 2014/15 nach den künstlerisch neutralen Einsparungen 3,7 Mio. €


V.

Ohne nachhaltige Korrekturen in der städtischen Kulturpolitik wird eine Stabilisierung der zur Verfügung stehenden Finanzen für die Eigenbetriebe Kultur nicht möglich sein. Die bisher geübte Kürzung mit der Rasenmähermethode (pauschale Einsparungen) wird dabei aber zu keinem dauerhaft befriedigenden Ergebnis führen. Hier ist aus dem actori-Gutachten festzuhalten:

  • Künstlerische Budgets bestimmen die Qualität der künstlerischen Produktion – eine Reduktion bedeutet einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Leipziger Kulturinstitutionen.
    Die weitere Streichung von z. B. einer Neuproduktion pro kulturellen Eigenbetrieb führt zu einer weiteren Ausdünnung des Angebotes und damit zu einem Publikumsrückgang und einem weiteren Rückgang der Akzeptanz der betroffenen Kulturbetriebe. Die vermeintliche Einsparung wird sich zumindest mittelfristig nicht positiv monetär auswirken. Dies wird insbesondere noch dadurch untermauert, dass die kulturellen Eigenbetriebe ein sehr starker Magnet für den Tourismus sind. Die Kultur dürfte der einzige Haushaltstitel sein, der sich über Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zum mindestens teilweise refinanziert.
    Radikale Kürzungsszenarien mit der Aufgabe von Spielstätten oder Sparten bedeutet mit Sicherheit einen Verlust künstlerischer Vielfalt, der nach bisherigen Erfahrungen auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Das spricht gegen die Schließung der Sparte Operette. Einen nachhaltigen finanziellen Stabilisierungseffekt kann man letztendlich nur mit Strukturveränderungen erreichen. Es ist vorab zu klären, welche der städtischen Eigenbetriebe Kultur für das kulturelle Angebot einer großen Stadt ein Muss sind: Schauspiel, Oper, Sinfonieorchester. Mit einem Verlust eines dieser Häuser würde der Stadt auch ein Stück kultureller Identität verloren gehen. Weiter stehen bei dieser Prüfung die Sparten im Fokus, deren Häuser den höchsten und dringendsten Sanierungsbedarf haben: Das Centraltheater und die Musikalische Komödie. Ohne Zweifel hat die Stadt Leipzig in absehbarer Zeit nicht die finanzielle Kraft, die bauliche Sanierung beider Häuser zu stemmen. Es ist dann abzuwägen, welche der Häuser einer nötigeren Sanierung bedarf und in welchem Haus die größeren Potentiale stecken. Und dabei hat das Centraltheater aus folgenden Gründen mit Sicherheit eine Präferenz gegenüber dem Haus Dreilinden. Aus folgenden Gründen:
  • Der Zuschauerraum und das Foyer des Theaters sind vor wenigen Jahren komplett saniert worden.
  • Die Stadt hat erst vor wenigen Jahren für teures Geld auf dem Haus lastende Restitutionsansprüche abgelöst.
  • Durch den Auszug der Diskothek Schauhaus steht das Haus halb leer, was bei der prominenten Lage des Hauses am Ring sicher keine Referenz ist und mit seinem Leerstandden Verfall des übrigen Hauses zumindest beschleunigt.
  • Es ist von Vorteil, wenn die Spielstätten der Kulturbetriebe auf relativ engem Raum – also am Ring – zusammen liegen.
  • Das Centraltheater hätte nach seinem Ausbau die Möglichkeit als Zweispartenhaus – Schauspiel und Operette/Musical – betrieben werden zu können, da in dem Haus dann eingroßer Saal und eine Zweitspielstätte mit ca. 200 Sitzplätzen vorhanden wären. Außerdem wären genügend Räume für die Unterbringung der Solisten, Chor- und Orchestermitgliedervorhanden, da auch in dem Nachbargebäude am Ring entsprechende Räume zur Verfügung stünden.
  • Andererseits ist zu beachten, dass sich der kulturelle Wert der Musikalischen Komödie sehr stark über das Gebäude selbst definiert und der Publikumsstamm sehr stark an das Haus Dreilinden gebunden ist.

    Eine Fusion des Centraltheaters mit der Musikalischen Komödie könnte trotzdem Sinn machen. Es würden Baukosten in Höhe von ca. 18,5 Mio. € eingespart und Einsparungen am Zuschuss bis zur Spielzeit 2014/15 im € - Millionenbereich generiert werden.

    VI.
    In Köln und Frankfurt/Main spielt das Opernorchester als Gürzenich-Orchester bzw. Museums-Orchester die Sinfoniekonzerte. In Köln spielt das Gürzenich-Orchester ca. 50 Sinfoniekonzerte p.a. und 160 Vorstellungen in der Oper, in Frankfurt Main spielt das Museums-Orchester 20 Sinfoniekonzerte p.a., die Anzahl der Einsätze in der Oper sind nicht bekannt. Das Gewandhausorchester spielt ca. 60 Sinfoniekonzerte in Leipzig, ca. 115 Einsätze in der Oper und ca. 35 Einsätze in der Thomaskirche. Das Gewandhausorchester hat zur Zeit 173 fest angestellte Musiker, das Gürzenich-Orchester Köln 138 fest angestellte Musiker und das Museums - Orchester Frankfurt 134 Musiker. Es erscheint hier zumindest eine Prüfung angesagt, ob durch eine Kürzung von Orchesterstellen beim Gewandhausorchester ohne Reduktion von Qualität und Ansehen möglich ist. Bei der Realisierung eines solchen Einsparungsvorschlages wäre aber zu prüfen, ob bei auswärtigen Verpflichtungen des Gewandhausorchesters ein ausreichend starkes Gewandhausorchester in Leipzig verbleibt, dass in der Oper zumindest Opern der Kategorie 2 bzw. 3 gespielt werden können und die Oper nicht wochenlang vor sich hin dümpelt.

    VII.
    Weiter wäre mittel- bis langfristig anzudenken, ob nicht die Eigenbetriebe Kultur der Stadt Leipzig unter einem Dach zusammengeführt werden können, also eine Intendanz mit darunter angesiedelten Spartenintendanten. Ein diesbezüglicher Prüfungsantrag an die Verwaltung erscheint geboten.
Beschluss der Ratsversammlung vom : noch nicht beschlossen
Beschlussstatus : Antrag ruht derzeit

 

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