Anfrage: Konsequenzen für Funktionsträger*innen gesichert rechtsextremer Parteien im Dienst der Stadtverwaltung Leipzig

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 24. Januar 2024

Mit Pressemitteilung vom 08.12.2023 teilte das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen mit, dass es sich bei dem Landesverband der Partei „Alternative für Deutschland“ um eine gesichert rechtsextreme Gruppierung handelt, mit der Folge, dass diese mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden darf. Auch wenn insbesondere das dahinterliegende Extremismuskonzept einer Kritik bedarf, stellt der Verfassungsschutz Sachsen doch nur fest, was verschiedene wissenschaftliche Studien, Journalist*innen und Aktivist*innen seit langer Zeit betonen: dass die Bestrebungen der AfD nicht nur in Sachsen verfassungsfeindlich und damit gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind. Spätestens jetzt kann es daran keinen Zweifel mehr geben.  

Dies wiederum hat Folgen für Personen, die sich im Rahmen von staatlichen Behörden klar als Funktionsträger*innen der AfD oder einer anderen gesichert rechtsextremen Partei exponieren, indem sie etwa für diese antreten, öffentlich werben oder Funktionen innerhalb der Partei einnehmen. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung gewährt auch ihren Gegner*innen und Feind*innen die gleichen Rechte. Davon zu trennen ist allerdings die Arbeit für den Staat, in einer staatlichen Behörde. Die Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch das offensive Eintreten für eine gesichert rechtsextreme Partei und eine Arbeit für den Staat und seiner Behörden verträgt sich nicht und erschüttert auch das Vertrauen in staatliche Strukturen. Insbesondere Beamt*innen sind in besonderer Weise zur Verfassungstreue verpflichtet.  

Vor diesem Hintergrund fragen wir an:

  1. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die Stadt Leipzig als Arbeitgeberin aus der Einstufung des Landesamtes für Verfassungsschutz hinsichtlich bereits beschäftigter Personen, insbesondere Beamt*innen, die Funktionsträger*innen einer gesichert rechtsextremen Partei sind bzw. für diese öffentlich eintreten?  
  2. Wie stellt die Stadt in ihren Bewerbungsverfahren sicher, dass keine Personen, insbesondere Beamt*innen eingestellt werden, die sich öffentlich für eine gesichert rechtsextreme Partei einsetzen bzw. eine Funktion in ihr bekleiden?  
  3. Wie stellt die Stadt sicher, dass insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit keine Personen, auch bei Freien Trägern arbeiten, die für die AfD eintreten, für diese bei Wahlen antreten oder in der Partei Funktionen übernehmen? Beziehungsweise überprüft die Stadt ob bei Freien Trägern Personen arbeiten, die Mitglied einer gesichert rechtsextremen Partei sind? Welche Folgen ergeben sich für die Stadt bei der Feststellung, dass bei Freien Trägern Personen arbeiten, die Mitglied einer gesichert rechtsextremen Partei sind?

Antwort der Stadtverwaltung vom 24. Januar 2024

Zu 1.)

Im öffentlichen Dienst fungiert der Staat als Arbeitgeber bzw. als Dienstherr, welcher zu zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Ordnung und politischer Neutralität verpflichtet ist. Diese Pflicht ist zu einem gewissen Grad auch Inhalt des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses der Bediensteten im öffentlichen Dienst.

a) Beamtinnen und Beamte

In einem Dienstverhältnis befindliche Beamtinnen und Beamte sind verpflichtet, sich loyal gegenüber ihrem Dienstherrn zu verhalten, ihre Aufgaben „unparteiisch und gerecht“ (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Beamtenstatusgesetz) zu erfüllen und sich gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 des Beamtenstatus-gesetz (BeamtStG) „durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten“. Darüber hinaus haben Beamtinnen und Beamte bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben (§ 33 Abs. 2 BeamtStG). Die den Beamtinnen und Beamten obliegende Pflicht zur Verfassungstreue ist ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums i. S. d. Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) und hat damit Verfassungsrang. Die (politische) Treuepflicht schließt dabei sowohl das innerdienstliche- als auch das außerdienstliche Verhalten ein.

Ungeachtet dessen dürfen sich Beamtinnen und Beamte – als Bürger/-innen – zu (auch kontroversen) politischen Themen öffentlich äußern, an politischen Veranstaltungen und Versammlungen teilnehmen, sich aktiv einbringen und auch Mitglied einer politischen Partei sein.

Die Verfassungstreue ist daher nicht lediglich anhand der Mitgliedschaft in einer politischen Partei oder Gruppierung und deren jeweiligem „Status“ („verfassungsfeindlich“, „gesichert extremistisch“, „Prüffall“ oder „Verdachtsfall“) zu beurteilen, sondern vielmehr aufgrund individuellen Verhaltens der betreffenden Person.

Für die Annahme einer Dienstpflichtverletzung muss ein konkreter und nachweisbarer Verstoß gegen die Treuepflicht vorliegen (z. B. in Form einer verfassungsfeindlichen Handlung). Die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen oder „gesichert rechtsextremen“ Partei oder sonstigen Gruppierung bildet zwar ein Indiz für ein verfassungsfeindliches Verhalten, aber keinen ausreichenden Beweis. Es sind also immer die Umstände im jeweiligen Einzelfall entscheidend.

Bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für ein verfassungsfeindliches Verhalten und somit für ein Dienstvergehen ist ein Disziplinarverfahren einzuleiten (§ 17 SächsDG). Je nach festgestellter Schwere des Dienstvergehens können disziplinarische Maßnahmen bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als schwerste Disziplinarmaßnahme (§ 10 SächsDG) verhängt werden.

b) Tarifbeschäftigte

Auch von Tarifbeschäftigten wird ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung verlangt, sofern sie bei Arbeitgebern beschäftigt sind, „in deren Aufgabenbereichen auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden“ (§ 41 Satz 2 TVöD – BT-V). So schulden Tarifbeschäftigte (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist („funktionsbezogene Treuepflicht“). Das BAG unterscheidet Arbeitnehmer, die eine „Pflicht zu gesteigerter Loyalität“ haben und damit in demselben Maße wie Beamte zur Verfassungstreue verpflichtet sind, und Arbeitnehmer, die nur eine „einfache politische Treuepflicht“ haben (BAG, Urt. v. 12.5.2011 – 2 AZR 479/09 – juris Rn. 27-30, 58, 61). Letztere sind arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis können sie die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass sie die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpfen.

Aber auch für Tarifbeschäftigte, die aufgrund ihrer Tätigkeit wie Beamte zur Verfassungstreue verpflichtet sind, gilt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation oder ein Tätigwerden für diese (z.B. in Form von Kandidaturen bei Wahlen) zwar Indizien für das Fehlen der Bereitschaft zur Verfassungstreue sind, für sich genommen aber als Eignungsmangel regelmäßig nicht ausreichen. Auch hier ist eine Einzelfallentscheidung aufgrund einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens der/des Beschäftigten zu treffen. Auf die Ausführungen unter Buchstabe a) wird verwiesen.

Wenn im Ergebnis einer solchen Prüfung ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht festgestellt wird, kann die Pflichtverletzung mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen bis hin zur verhaltens- oder personenbedingten Kündigung geahndet werden.

Anmerkung:

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass der Arbeitgeber/Dienstherr im Hinblick auf die durch Art. 9 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Betätigungsfreiheit auch bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes grundsätzlich nicht berechtigt ist, diese nach der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, einer sonstigen Vereinigung oder einer Gewerkschaft zu befragen.

Abgesehen von den o.g. rechtlichen Rahmenbedingungen, investiert die Stadt Leipzig in entsprechende Fortbildungs- und Präventionsprogramme ihrer Beschäftigten, mit dem Ziel, diese im Umgang mit verfassungsfeindlichem oder verschwörungstheoretischem Gedankengut zu stärken und die demokratischen Einstellungen innerhalb der Belegschaft so insgesamt zu fördern. Derzeit arbeiten das Referat für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie das Personalamt gemeinsam an einer deutlichen Erweiterung dieses Bereiches. So ist die Aufnahme umfassender Maßnahmen und eines weiteren Schwerpunktes im Bereich der Fortbildung im Entstehen. Durch einen kontinuierlichen Ausbau politischer Bildung innerhalb der Belegschaft soll somit der Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts entgegengewirkt und demokratische Einstellungen gestärkt werden. Weiterhin wurde im Rechtsamt eine Justiziarstelle eingerichtet, welche mit dem Themenbereich „wehrhafte Demokratie“ betraut ist. Die Stelle konnte bereits erfolgreich besetzt werden. Dienstantritt ist März 2024.

Zu. 2.)

Die Gewähr der Verfassungstreue stellt eine Eignungsvoraussetzung i. S. d. Art. 33 Abs. 2 GG für alle Beamtenverhältnisse (Beamtenverhältnis auf Zeit, auf Probe, auf Widerruf und auf Lebenszeit) dar. So darf in ein Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten (§ 7 Absatz 1 Nummer 2 BeamtStG). Begründete Zweifel an der Verfassungstreue stellen einen Eignungsmangel dar. Dies ist vor einer erstmaligen Berufung in das Beamtenverhältnis zu prüfen. Dabei dürfen keine Umstände vorliegen, die die Erfüllung der Pflicht zur Verfassungstreue zweifelhaft erscheinen lassen.

Zu diesem Zweck müssen Beamtinnen und Beamte vor der Ernennung eine entsprechende Verfassungstreueerklärung abgeben und versichern, dass sie alle Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes oder gegen eines ihrer oben genannten grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht unterstützen und auch in den letzten fünf Jahren nicht unterstützt haben und auch nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation oder Gruppierung sind oder in den letzten fünf Jahren waren.

Wie bereits in der Antwort zu 1.) dargelegt, besteht die Verletzung dieser Pflicht nicht in der bloßen Überzeugung. Vielmehr muss ein nach außen wirkendes Verhalten von nicht unerheblichem Gewicht hinzukommen, das ernste Besorgnis an der künftigen Erfüllung der Pflicht zur Verfassungstreue auslöst.

Für die Prüfung und Entscheidung, ob die persönlichen Voraussetzungen für eine Berufung ins Beamtenverhältnis vorliegen, können sowohl die Angaben des/der Bewerbers/Bewerberin (z. B. Daten aus dem Lebenslauf, Verweigerung der Verfassungstreueerklärung), als auch eigene Erkenntnisse der Ernennungsbehörde oder Erkenntnisse anderer Behörden (z.B. Verfassungsschutzbehörden) verwertet werden.

In der Regel verfügen Bewerber/-innen nicht über die nötige persönliche Eignung, wenn sie Mitglied einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten und nach grundgesetzlichen Bestimmungen verbotenen Partei (oder sonstigen Vereinigung) sind. Beides (verfassungswidrig und verboten) ist im Fall der AfD derzeit, trotz der Einstufung des Landesverbands Sachsen als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz, nicht gegeben.

Vor der Einstellung hat jeder Bedienstete ein Führungszeugnis vorzulegen. In bestimmten Bereichen ist ein Erweitertes Führungszeugnis (§ 30 Abs. 5 und § 30a Abs. 1 BZRG) vorzulegen. Enthält das Führungszeugnis Einträge, so wird geprüft inwieweit diese einen Hinderungsgrund für die Einstellung oder Ernennung darstellen.

Zu 3.)

In Bezug auf freie Träger ist der Antwort voranzustellen, dass bereits eine Förderung und Anerkennung von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe nur erfolgen kann, wenn diese die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten, also die freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen (vgl. § 74 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII und § 75 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Diese Voraussetzung findet sich auch in der Fachförderrichtlinie der Stadt Leipzig über die Förderung von Trägern der freien Jugendhilfe für Leistungen der Jugendarbeit und allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie gemäß §§ 11 bis 14 und 16 SGB VIII (dort Nr. 4.3.1).

Auch im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit ist der Arbeitgeber bzw. der Dienstherr nicht berechtigt, Bewerber/-innen oder Beschäftigte nach der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder sonstigen Vereinigung zu befragen. Auf mögliche Zweifel an der Verfassungstreue kann nur aufgrund bekannten bzw. offensichtlichen Fehlverhaltens oder aufgrund von Eintragungen im Führungszeugnis reagiert werden. Eine (präventive) Regelanfrage bei Polizei oder Verfassungsschutz vor der Einstellung/Ernennung gibt es in Sachsen (anders als in Mecklenburg-Vorpommern) nicht. Besetzungsverfahren erfolgen nach dem Grundsatz der Bestenauslese (siehe Art. 33 Abs. 2 GG). Darüber hinaus ist vor einer Einstellung ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen.

Die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe entscheiden aufgrund ihrer Personalhoheit über die Einstellung von Beschäftigten selbst. Auch dort haben Bewerber/-innen ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen. Dem Amt für Jugend und Familie (AJF) obliegt hier einzig die Prüfung der (Abschluss-)Zeugnisse und Eingruppierungen.

Für alle Leistungen, welchen eine Betriebserlaubnis zu Grunde liegt (z.B. [teil-]stationäre Hilfen zur Erziehung wie Kinderheime, Wohngruppen über Tag und Nacht, Inobhutnahmeeinrichtungen, Einrichtungen zur umA-Unterbringung, betreutes Einzelwohnen), ist das Landesjugendamt (LJA) in der Personalprüfungspflicht. D. h., dass durch das LJA eine qualitative und quantitative Prüfung des im Antrag auf Betriebserlaubnis gemeldeten Personals erfolgt. Auch nach erteilter Betriebserlaubnis erfolgt eine Prüfung.

Die Entscheidung, Bewerber/-innen oder Beschäftigte wegen Verstößen gegen die Verfassungstreue abzulehnen bzw. arbeitsrechtlichen Sanktionen zu unterziehen, richtet sich nach den unter 1.) und 2.) dargestellten Grundsätzen.

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