Anfrage: Erinnerung an NS-Zwangsarbeit in Leipzig

Anfrage zur Beantwortung in der Ratsversammlung am 21. August 2024

Leipzig war während der NS-Zeit ein Zentrum der Zwangsarbeit in Deutschland. Hier und in der näheren Umgebung befanden sich ab 1943 sechs Außenlager des KZ Buchenwald, davon vier in Leipzig. Zudem war Leipzig vor und während des Zweiten Weltkriegs ein bedeutender Rüstungs- und Wirtschaftsstandort.

Mehr als 75.000 Zwangsarbeiter*innen wurden in Dienstverhältnisse in Leipzig gezwungen. So beispielsweise in Lützschena bei der Sternburg-Brauerei, im heutigen Werk II (der damaligen Fabrik für Gasmesseranlagen), in vielen weiteren Betrieben sowie innerhalb der Stadtverwaltung und bei den städtischen Eigenbetrieben. Auf dem Gelände der ehemaligen Frankfurter Wiesen, vor dem 2. Weltkrieg bereits als Kleinmesseplatz genutzt, wurde ebenfalls ein Zwangsarbeitslager eingerichtet. Im gesamten Stadtgebiet entstanden etwa 700 Lager und Sammelunterkünfte für die Zwangsarbeiter*innen. Als Unterkünfte dienten neben Baracken und Fabrikgebäuden auch Turnhallen, Hotels, Schulen, Vereinshäuser sowie Privathaushalte.

Die Erinnerung an NS-Zwangsarbeit ist ein wichtiges Mahnmal, gerade auch, um aktuellen geschichtsrevisionistischen Versuchen entgegenzuwirken, die das Geschehene für unbedeutend erklären und Leipzig als in der NS-Zeit unschuldige Stadt darstellen möchten.

Mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig gibt es in Leipzig auf dem Gelände der ehemaligen Hugo Schneider Aktiengesellschaft (HASAG) – heute Wissenschaftspark Leipzig – bereits seit mehr als 20 Jahren einen wichtigen Anlaufpunkt für die Auseinandersetzung mit und Erinnerung an NS-Zwangsarbeit. Die Räumlichkeiten der Gedenkstätte vor Ort sind jedoch auf ein ehemaliges Pförtnerhaus mit einer Ausstellungsfläche von ca. 45 qm begrenzt, welches nur über eine geringe Isolierung und über keine eigene Toilette verfügt. Der vorhandene Raum bietet nicht genügend Platz für Tafeln und Exponate sowie Workshops und Gruppenführungen. Für Bildungsveranstaltungen mit Schulklassen und sonstigen Gruppen über 15 Personen müssen externe Räume angemietet werden, ebenso die Büros für die Mitarbeiter*innen.

Mit dem Konzept Erinnerungskultur beschloss der Stadtrat, das Thema Zwangsarbeit weiter zu erforschen, stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und ihm in der Erinnerungs-landschaft eine größere Rolle zukommen zu lassen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir an:

  1. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der Stadt Leipzig mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig? Spiegelt die räumliche und strukturelle Ausstattung der Gedenkstätte die Bedeutung wieder, die dem Thema aktuell und zukünftig entgegengebracht werden soll?
  2. Welchen konzeptionellen Ansatz verfolgt die Stadt bei der Erinnerung an das Thema NS-Zwangsarbeit?
  3. Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig ist aufgrund der inzwischen internationalen Bekanntheit und der hohen Nachfrage nach Bildungsangeboten dringend auf der Suche nach neuen, größeren Räumlichkeiten, die einen Ortsbezug zu NS-Zwangsarbeit aufweisen. Inwiefern wird diese Suche seitens der Verwaltung unterstützt? Wie ist hier der aktuelle Stand?
  4. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der Stadt Leipzig mit dem Land Sachsen beim Thema Erinnerung an NS-Zwangsarbeit?
  5. Im Konzept Erinnerungskultur der Stadt werden die Themen „Leipzig während der NS-Zeit“ und „NS-Zwangsarbeit in Leipzig“ neben anderen als neue erinnerungskulturelle Schwerpunkte benannt. Auf welche Art und Weise sollen diese Themen stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden? Welche finanziellen Mittel stehen hierfür zur Verfügung?
  6. Im Juli 2022 wurde von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig gemeinsam mit der Stadt Leipzig eine Gedenkstele am ehemaligen KZ-Außenlager „HASAG Leipzig“, welches mit ca. 5000 weiblichen Gefangenen das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald war, eingeweiht. Auf welche Art und Weise soll darüber hinaus an die besonders große Zahl weiblicher KZ-Häftlinge erinnert werden, die in Leipzig Zwangsarbeit verrichten mussten?

 

Antwort der Verwaltung in der Ratsversammlung vom 21. August 2024

  1. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der Stadt Leipzig mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig? Spiegelt die räumliche und strukturelle Ausstattung der Gedenkstätte die Bedeutung wieder, die dem Thema aktuell und zukünftig entgegengebracht werden soll?

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der Stadt Leipzig mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig? Spiegelt die räumliche und strukturelle Ausstattung der Gedenkstätte die Bedeutung wieder, die dem Thema aktuell und zukünftig entgegengebracht werden soll?

Im Mai 2000 bekannte sich die Stadt Leipzig in einem Ratsbeschluss zu ihrer historischen Verantwortung und verabschiedete ein Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter/-innen. Dieses sah neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung die Einrichtung einer Gedenkstätte vor.

Im Oktober 2000 beschloss der Stadtrat (DS-Nr. III/1057 vom 9.10.2000) auf dem Gelände des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung Leipzig/ Halle im ehemaligen Pförtnerhäuschen eine Informations-, Dokumentations- und Begegnungsstätte für ehemalige Zwangsarbeiter/-innen und weitere Opfer in Leipzig zu errichten.

Mit Unterstützung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), dem Verein „Dr. Margarete Blank e. V.“ als damaligem Trägerverein der Gedenkstätte und Spenden konnte der Beschluss umgesetzt werden und im ehemaliges Pförtnerhaus aus den 1970er Jahren am 12. Dezember 2001 die Gedenkstätte im Beisein ehemaliger Zwangsarbeiter/- innen feierlich eröffnet werden. Sie war deutschlandweit die erste Einrichtung, die sich explizit dem Schicksal der Zwangsarbeiter/- innen im Nationalsozialismus widmete.

Seit 2008 förderte die Stadt Leipzig die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig, nach einem Beschluss der Ratsversammlung vom 11.10.2006 (Beschluss Nr. IV-697/06) zur langfristigen Sicherung der Gedenkstätte mit einer Personalstelle anteilig mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Höhe von 14.000 EUR.

Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig wurde entsprechend des Sächsischen Gedenkstättengesetzes (DS5/8625 von 2012) im Herbst 2014 in die institutionelle Förderung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten aufgenommen.

Die Stadt Leipzig fördert seit 2015 die Gedenkstätte in der Institutionelle Förderung. Die Fördermittel konnten seit 2019 kontinuierlich erhöht werden. Für das Förderjahr 2024 erhält der Förderverein „Erinnern an NS-Verbrechen“ eine Förderung in Höhe von 110.000 Euro.

Die Gedenkstätte erinnert mit einer Dauerausstellung sowie Informationsstelen im Außenbereich am historischen Ort an die tausenden ausländischen zivilen Zwangsarbeiter/-innen, Kriegsgefangenen und KZ-Gefangenen, die für die HASAG sowie zahlreiche weitere Einsatzträger in Leipzig Zwangsarbeit leisten mussten. Ihre zentralen Aufgabenbereiche sind: Information und Bildung, Gedenk- und Erinnerungsarbeit sowie Forschung und Dokumentation.

Damit ist die Gedenkstätte für Zwangsarbeit die einzige Einrichtung in Leipzig, die sich explizit der Aufarbeitung lokaler NS-Verbrechen widmet. Neben wenigen anderen Gedenkstätten auf Bundesebene widmet sie sich einem nach wie vor stark marginalisierten und in der Öffentlichkeit wenig bekannten Themenkomplex in Leipzig.

Neben einem umfassenden Informations-, Bildungs- und Veranstaltungsangebot, das sie für die Öffentlichkeit bereithält, ist sie für die Stadt Leipzig eine wichtige Akteurin bei der Planung und Organisation von Gedenkveranstaltungen, Erarbeitung von Gedenkstelen und der Umsetzung von Erinnerungsprojekten. Darüber hinaus wird die in der Gedenkstätte vorhandene Expertise zunehmend für Gremienarbeit, Prozess- und Konzeptentwicklung im Bereich der lokalen Erinnerungsarbeit der Stadt Leipzig, für Workshops und Bildungsprojekte sowie für Kooperationen angefragt. Unter anderem präsentierte die Gedenkstätte für Zwangsarbeit im Rahmen der ersten Akteurskonferenz zur Erinnerungskultur im Juni 2024 ihre Arbeit und aktuelle Vorhaben. Außerdem ist die Gedenkstätte in verschiedenen Gremien und Initiativen vertreten. Das Kulturamt der Stadt Leipzig ist mit dem Trägerverein im engem Austausch zur Institutionellen Förderung und zur weiteren Entwicklung. Dabei spielt auch die Suche nach einem neuen Standort eine Rolle, an dem der Trägerverein die Geschichte der Zwangsarbeit in Leipzig noch besser der Stadtgesellschaft zugänglich machen kann.

Die Gedenkstätte erinnert aktuell am authentischen Ort des Zwangsarbeitens, am Standort der HASAG, dem ehemals größten Rüstungsbetrieb Sachsens, an die Opfer, das Unrecht und die Geschichte des NS-Zwangsarbeitseinsatzes in Leipzig und dessen Folgen auf einer kleinen Ausstellungsfläche mit 50 qm. Der Ausstellungsraum hat als Teil eines Pförtnerhauses eine große Fensterfront und eine schlechte Isolierung der Wände. Damit sind die ausgestellten Objekte großen Temperaturschwankungen unterworfen, was sich ungünstig auf deren Erhalt auswirkt.

Ein neuer, größerer Standort mit einer modernen Dauer- und Wechselausstellung und Räumen für Vermittlung, Forschung, Sammlung und Verwaltung würde eine vertiefte Aufarbeitung der lokalen NS-Verbrechen in Leipzig und Umgebung ermöglichen und gleichzeitig dem Thema mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verleihen.

  1. Welchen konzeptionellen Ansatz verfolgt die Stadt bei der Erinnerung an das Thema NS-Zwangsarbeit?

Im Konzept Erinnerungskultur der Stadt Leipzig (bestätigt in der Ratsversammlung am 16. November 2023) wird die Erinnerung an NS-Geschichte als Schwerpunkt definiert. Es wird beschrieben, dass eine kritische Erinnerungskultur und eine erweiterte Aufarbeitung der NS- Zeit sowie der Zwangsarbeit in Leipzig notwendig sind. Der wichtigste zivilgesellschaftliche Akteur ist dabei die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig. Weitere wichtige zivilgesellschaftliche Akteure sind: Erich-Zeigner-Haus e.V., Riebeckstraße 63 e.V., Bürgerinitiative Capa-Haus, Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem NS (sLAG), u. a.

Mit der Besetzung der Position des Mitarbeiters für Erinnerungskultur wird die Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig intensiviert (Termin 2. September 2024). Darüber hinaus plant der neue Mitarbeiter Konzepte zur Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Leipziger Stadtgeschichte, insbesondere mit dem Schwerpunkt NS-Diktatur im schulischen Kontext. Die Umsetzung eines Projektes ist für das Jahr 2025 geplant.

  1. Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig ist aufgrund der inzwischen internationalen Bekanntheit und der hohen Nachfrage nach Bildungsangeboten dringend auf der Suche nach neuen, größeren Räumlichkeiten, die einen Ortsbezug zu NS-Zwangsarbeit aufweisen. Inwiefern wird diese Suche seitens der Verwaltung unterstützt? Wie ist hier der aktuelle Stand?

Das Kulturamt der Stadt Leipzig ist mit dem Trägerverein im engem Austausch zur Suche nach neuen, größeren Räumlichkeiten. Im August 2023 hat der Verein ein Raum- und Nutzungs-konzept für den Betrieb der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig im Gebäude Kohlrabizirkus vorgelegt. Dieser Bedarf ist in einem Workshop zum Nutzerkonzept für den Kohlrabizirkus eingeflossen, eine Entscheidung aber noch nicht getroffen. Auch ein Kosten- und Finanzierungs-konzept steht noch aus.

  1. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der Stadt Leipzig mit dem Land Sachsen beim Thema Erinnerung an NS-Zwangsarbeit?

Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig wird institutionell durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und die Stadt Leipzig gefördert. Das Kulturamt der Stadt Leipzig tauscht sich regelmäßig mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Förderung aus.

Die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Leipzig und dem Land Sachsen wird zukünftig durch den Mitarbeiter für Erinnerungskultur der Stadt Leipzig verstärkt.

  1. Im Konzept Erinnerungskultur der Stadt werden die Themen „Leipzig während der NS-Zeit“ und „NS-Zwangsarbeit in Leipzig“ neben anderen als neue erinnerungskulturelle Schwerpunkte benannt. Auf welche Art und Weise sollen diese Themen stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden? Welche finanziellen Mittel stehen hierfür zur Verfügung?

Mit dem Konzept Erinnerungskultur wurde zugleich beschlossen, dass u.a. folgende Stadtratsanträge, die einen Bezug zur NS-Geschichte Leipzigs aufweisen, bearbeitet und umgesetzt werden; auch kommen weiterhin aktuelle Stadtratsanträge mit Bezug zur NS-Geschichte hinzu, über die der Fachausschuss Kultur regelmäßig informiert wird:

  • Erinnerungsort Capa-Haus dauerhaft sichern und weiterentwickeln (VII-A-02932)
  • Leipziger Meuten würdigen (VII-A-06200-NF-02)
  • Erinnern an die Bücherverbrennungen 1933 (VII-A-01276)
  • Gutachten zu Opfern in der NS Zeit / Stadtverordneten in der NS-Zeit in Auftrag gegeben (VI-A-08161-NF-02)
  • Erinnerung an ehemalige Leipziger Synagogen und Bethäuser (VII-A-09027-ÄA-02)
  • Leipzig erinnert an die Pädagogin und Publizistin Maria Grollmuß (VII-A-02442-NF-02)

Das Budget Erinnerungskultur bildet die Erstellung von Gutachten und die Entwicklung von Erinnerungs- und Gedenkformen ab. Die Stadt Leipzig  - im engeren Sinne die Koordinierungsstelle „Erinnerungskultur“ –  sieht sich in einer strategischen Steuerungsverantwortung, sie wägt geeignete Gedenkformen ab, vernetzt Akteure und stellt Öffentlichkeit her; sie sieht sich weniger als Zuwendungsstelle.

Die Verankerung des Erinnerns an die NS-Geschichte im öffentlichen Bewusstsein geschieht darüber hinaus über regelmäßige städtische Gedenkveranstaltungen, Projekte und Erinnerungsformate städtischer Institutionen und freier Träger sowie zukünftig geplante Schulprojekte.

  1. Im Juli 2022 wurde von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig gemeinsam mit der Stadt Leipzig eine Gedenkstele am ehemaligen KZ-Außenlager „HASAG Leipzig“, welches mit ca. 5000 weiblichen Gefangenen das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald war, eingeweiht. Auf welche Art und Weise soll darüber hinaus an die besonders große Zahl weiblicher KZ-Häftlinge erinnert werden, die in Leipzig Zwangsarbeit verrichten mussten?

Die Stadt Leipzig plant, zur Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2025 italienische Zwangsarbeiter/-innen nach Leipzig einzuladen. Weiterhin plant die AG Gedenktage der Stadt Leipzig eine Ausstellung zum Thema für die Jahre 2026/27. Die Vorbereitung findet in enger Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig statt.

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